Berlin/Słubice – Drei Jahre nach Unterzeichnung des deutsch-polnischen Wasserstraßenabkommens üben deutsche und polnische Umweltverbände auf einer Fachtagung in Słubice mit zwei Fachgutachten deutliche Kritik an der Ausrichtung des länderübergreifenden Hochwasserschutzes an der Oder. Das deutsch-polnische Abkommen soll gewährleisten, dass künftig die Hochwasserabflussverhältnisse an der Grenzoder optimiert und stabile Fahrwasserverhältnisse insbesondere für den Einsatz der deutsch-polnischen Eisbrecherflotte sichergestellt werden. Die Umweltverbände beidseits der Oder sehen in der Umsetzung dieses Abkommens jedoch geradezu eine Gefahr für Hochwasserschutz und Umwelt.
„Nach den vorliegenden Gutachten und Erkenntnissen widersprechen die Ausbaupläne an der Oder nicht nur dem europäischen Naturschutzrecht, sondern sind sogar kontraproduktiv für den Hochwasserschutz“, sagt Florian Schöne, Generalsekretär des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR).
In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten deutsch-polnischen Projekt arbeiten die Umwelt- und Naturschutzverbände BUND, DNR, DUH, NABU, WWF, die Heinz-Sielmann-Stiftung und der Nationalparkverein Unteres Odertal seit 2017 zum ökologischen Hochwasserschutz an der Oder. Auf der heutigen Fachtagung in Słubice wurden dabei zwei Gutachten vom Ingenieurbüro Gerstgraser und von Dr. Mateusz Grygoruk vorgelegt, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine positive Wirkung im Sinne des Hochwasserschutzes mit der Aktualisierung der Stromregelungskonzeption für die Grenzoder und der Nutzung des polnischen Zwischenoderlandes als gesteuerter Flutpolder zweifelhaft ist. Stattdessen sind sogar Verschlechterungen für den Hochwasserschutz zu befürchten.
Die Nutzung des polnischen Zwischenoderlandes als gesteuerter Flutpolder habe keinen Vorteil für den Hochwasserschutz, weil hier die Flutwelle bereits langgestreckt ist ohne steilen Scheitel, sodass ein Flutpolder auch keinen Scheitel wirksam kappen kann. Stattdessen würde ein Flutpolder im Zwischenoderland bei Hochwasser einen Rückstau der Flutwelle bewirken, der höhere Wasserstände bewirkt, die bis hinauf nach Cedynia (Zehden) und ins Oderbruch reichen können.
Hinzu komme, dass sich als Folge der Umsetzung der Stromregelungskonzeption ausgerechnet an der berüchtigten Gefahrenstelle am Deich bei Hohenwutzen der Wasserstand bei Hochwasser um über 10 cm erhöht. Dieser Deich ist aber von entscheidender Bedeutung für den Hochwasserschutz einer ganzen Region, verhindert er doch die Überschwemmung des Oderbruchs. „Es ist mehr als zweifelhaft, ob die Umsetzung der Stromregelungskonzeption die Wassertiefe für die Eisbrecher überhaupt verbessern kann. Stattdessen ist sogar eine Verschlechterung der Wassertiefe realistisch“, sagt Sascha Maier, Vorstandsmitglied des BUND Brandenburg.
Zudem fehlten die bei einem großen Flusssystem erforderlichen ganzheitlichen Ansätze mit Maßnahmen wie einer Verbesserung des Wasserrückhalts im Einzugsgebiet der Oder, einem Einsatz alternativer Eisbrecher und Eisaufbruchmethoden sowie einem nachhaltigen Sedimentmanagement. Auch der natürliche Hochwasserschutz der Ostseeküste zum Schutz von Stettin vor steigendem Hochwasser aus der Ostsee muss bestmöglich erhalten werden. „Angesichts der Herausforderungen, die der Klimawandel und ein ansteigender Ostseewasserstand mit sich bringen, ist ein umfassendes multinationales Hochwasserrisikomanagement für die Oder erforderlich“, so Georg Rast, Auenexperte beim WWF Deutschland.
Aus Sicht der Umweltorganisationen müssen jegliche Vorhaben vermieden werden, die einem der wenigen naturnahen mitteleuropäischen Ströme seine Dynamik nehmen sowie die vielseitigen, artenreichen Lebensräume weiter einschränken und damit ökologisch abwerten – erst recht dann, wenn diese Initiativen keinen nachweisbaren Vorteil für den Hochwasserschutz bewirken. „Stattdessen sollten Konzepte entwickelt werden, die den Hochwasserschutz stärken und zugleich die Regionalentwicklung, den Tourismus, den Naturschutz und die Schifffahrt miteinander harmonisieren, wie dies von polnischen und deutschen Akteuren im Oder-Mündungsgebiet bereits gemeinsam auf den Weg gebracht wird“, sagt Ulrich Stöcker, Leiter Naturschutz bei der Deutschen Umwelthilfe.
„Naturschutz und Hochwasserschutz müssen Hand in Hand gehen. Die Politik sowie Wasserwirtschaft, Landnutzer und Anwohner müssen aktiv und grenzüberschreitend in die Diskussion um den zukünftigen Hochwasserschutz an der Oder einbezogen werden“, erklärt die Koordinatorin der polnischen Koalition „Rettet die Flüsse“ (Koalicja Ratujmy Rzeki), Ewa Leś. „Wir wollen mit der Tagung einen Beitrag leisten, um den grenzüberschreitenden Schutz vor Hochwasser durch die geplanten staatlichen Vorhaben in Einklang mit der EU-Umweltgesetzgebung zu bringen. Die Diskussion der geplanten Baumaßnahmen an der Oder ist auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Wir fordern zudem einen ehrlichen transparenten Dialog unter Beteiligung der Öffentlichkeit.“